Es war einmal eine blau geblümte Teetasse, die war aus der Mode gekommen und außerdem behindert, denn sie hatte nach einem schweren Sturz einen Sprung und keinen Henkel mehr. Deshalb stand sie nicht mehr im Vitrinenschrank oder auf dem Teetisch, sondern unter einem Heizungsventil, das stündlich zwölf Tropfen Wasser entließ.
Tropfenweis lauwarmes Brackwasser ist schlimm für eine Teetasse, die feinsten Assam und Darjeeling gewohnt ist, den rauchigen Geschmack von Lapsang Souchong schätzt und den blumigen Duft von Earl Grey. Die Diele unter ihr versicherte ihr zwar, sie sei der nettesteTropfenfänger, der ihr jemals das Wasser vom Leibe gehalten habe, aber die Diele war nordische Kiefer und ziemlich astig, und die Tasse fühlte sich von ihrer naturburschenhaften Derbheit peinlich berührt und dankte nur mit herablassender Höflichkeit. Die Heizung war ihr vollends peinlich, sie rülpste und blubberte zuweilen und erzählte unbekümmert von ihren Hitzewallungen und der schweren Verdaulichkeit russischen Erdgases.
Die Tasse schwieg hochmütig und dachte an das zarte Klingeln von Kandis und das schmeichelnde Gefühl, wenn die Sahnetröpfchen sich in ihre feinen Poren schmiegten. Das Wasser tropfte beharrlich in sie.
Plötzlich hörte sie ein leises, wohliges Seufzen in ihrem Inneren. “Hach”, klang es, “hach, hier isses schön.” Die Tasse erschrak. “Wer ist dort?” fragte sie bang, und die zarte, schläfrige Stimme antwortete: “Ich bin da. Hach, isses schön.” “Wer sind Sie?” fragte die Tasse, “Und wo genau sind Sie?” “Ich bin ich. Ich bin in der nassen Welt.” “In der nassen Welt?” fragte die Tasse, “Meinen Sie, im Wasser?” “Nasse Welt. Nur hier, wo ich bin, ist nasse Welt. Nur wo nasse Welt ist, bin ich.” Die Tasse fühlte einen weiteren Tropfen in sich fallen, und die Stimme seufzte behaglich. “Infusorium”, sagte sie. “Ich bin das. Ein Infusorium.”
“Ich bin eine Teetasse”, sagte die Teetasse, “und ich habe schon oft Nässe aufgenommen und abgegeben. Aber einem Infusorium bin ich dabei noch nie begegnet.” “Manche Nässe ist heiß”, sagte das Infusorium. “Die mag ich nicht.” “Guter Tee muß kochend heiß sein”, dozierte die Tasse. “Nässe muß lau sein”, widersprach das Infusorium. “Lau ist gut.”
Die Tasse schwieg. Das Infusorium schien nicht besonders gewitzt zu sein, die Diele war ein Prolet, und sie hätte lieber einen Hammer als die Heizung in ihrer Nachbarschaft gehabt. Sie schwieg und langweilte sich mehrere Tage lang. Das Infusorium seufzte gelegentlich wohlig, die Diele knarzte ein paar Worte über die unermeßlichen Wälder, zu denen sie ursprünglich gehörte, die Heizung blubberte freundlich, und ganz selten meldete sich sogar die zarte Stimme des Erdgases, das aber stets nur sagte “Hach, hach… Erdentiefe… hach…” (und dagegen war das Infusorium noch spritzig).
Irgendwann kam der Klempner und wechselte das Heizungsventil aus. Das neue Ventil war streng und hielt dicht, und die Tasse landete gemeinsam mit dem alten Ventil im Müll. Ich glaube aber nicht, daß sie sich noch angefreundet haben. Angeblich soll die Tasse im Mülleimer gesagt haben: Sic transit gloria mundi. Und solche Leute reden nicht mit Heizungsventilen, nicht einmal dann, wenn ihnen der Henkel fehlt.
© Claudia Sperlich
Blau geblümte Teetassen hab ich auch…
“Kirschblüte” heißt das Design. Kauf ich regelmäßig nach, weil die nur eine begrenzte Anzahl an Spülgängen im Geschirrspüler heil überstehen…
ich kenne eine Teetassenübung, da dreht man die Hand und den Arm über den Kopf mit der Vorstellung, eine Teetasse würde auf dem HAndteller stehen , ohne herunterzufallen….
probiert es mal aus
Ich trinke meinen Tee immer heiß… und ohne so komische Verrenkungen…
Hochmut kommt vor dem Fall….
sehr schöne und tiefsinnige Geschichte. Man kann viel interpretieren.
Nur, was bedeutet das Lateinische?
So vergeht der Ruhm der Welt.
Wird unabhängig von der Herkunft gern zum Angeben zitiert.
Ich habe zwar 1975 mein “Großes Latinum” bekommen, wußte es aber auch nicht mehr…
Ist einfach zu lange her, dass ich mal Lateinisch gesprochen habe…
Dafür kann ich aber immer noch die Anfangssätze aus “De Bello Gallico” von Julius Caesar auswendig…
Damit gebe ICH dann an…
Sehr feine Geschichte, vielschichtig und bringt beim Leser ganz unterschiedliche Saiten zum Schwingen. Wie man auch sehr schön aus den Reaktionen darauf entnehmen kann.
Obwohl die Teetasse sich, mit einem gewissen Standesdünkel behaftet, gern mehr abgehoben hätte, auch ohne Henkel…, landet sie am Ende doch auf dem gleichen Müllberg wie das kaputte Ventil… Also..!!
Da fällt mir ein, dass meine Heizung in der Küche im Winter auch immer etwas tropft…
Genau so ist es.
Du hast doch sicher irgendeine olle Tasse…
Nein, meine sind alle heil…