Hoffnungen müssen sich ja nicht erfüllen

Mit der Hoffnung ist das ein bißl wie mit der Gegenwart; so richtig spürbar ist sie nur im Jetzt. Und wenn das, was man gehofft hat wirklich eintritt, dann ist man damit so zufrieden, daß man sich bald nicht mehr erinnert, wie sehr man gehofft hat. Weil es ist ja da, da gibt es ja auch nichts mehr zu hoffen. Nur, wenn´s nicht passiert, weiß man später noch genau, wie man gehofft hat. Erfüllte Hoffnungen sind ein flüchtiges Gut. Aber gut, was soll man machen? Die Hoffnung, wie der Winzer sagen würde, auf Flaschen ziehn?

Das wär sicher ganz angenehm, wenn man immer so in einem Flachmann ein Achtel Hoffnung bei sich hat, und wenn man sie braucht, nimmt man schnell einen Hacker. Dazu müßte man aber vorher die Hoffnung verallgemeinern. Also nur die Substanz haben, ohne spezielle Zielrichtung. Weil, wenn beim Zahnarzt im Wartezimmer, sich eine anschwellende Verzweiflung Bahn bricht, hilft die Hoffnung auf eine billige Handtasche im Sommerschlußverkauf wenig. Wär auch blöd, wenn man dann vielleicht eine fremde Hoffnung erwischt, oder, noch blöder, eine nicht ganz so fremde Hoffnung. So eine geheime Sehnsucht vielleicht. Man möchte sich vor dem Länderspiel ein bißchen Hoffnung antrinken, aus der Hausapotheke, weil man weiß, daß man die brauchen wird, und sieht dann das ganze Spiel über den Kellner aus der Pizzaria unter Palmen spazierengehen und “Ti amo!” sagen, und dabei schaut er einem tief in die Augen. Es müßte also schon eine allgemeine Hoffnung sein, die man, wenn´s ein bißl eng wird, unterm Herzen trägt. – Wo der Flachmann ja gewöhnlich sitzt. Frauen tragen den Flachmann wahrscheinlich eher, wenn überhaupt, im Handtaschl, aber die “Hoffnung im Handtaschl” – das ist als Bild einfach nicht so schön. Auch nicht, wenn man sich ein Herrnhandtaschl vorstellt. Aber es gibt ja sehr schöne Damensakkos. Wenn Sie vielleicht, gleich welchen Geschlechts Sie sind, grundsätzliche Vorbehalte gegen Sakkos haben, – ich bin beim manifestieren von Idiosynkrasien bestimmten Kleidungsstücken gegenüber unbedingt für freie Gestaltung – wenn Sie es also für Ihre Person ausschließen, auch nur in Gedanken ein Sakko überzustreifen, meinen Segen haben Sie, dann stellen Sie sich bitte eine Latzhose vor, das ist zumindest sehr bequem, und vor allem paßt in die Brusttasche ganz prima ein Flachmann hinein; eben auch unter dem Herzen, wo man dann eine allgemeine Hoffnung mit sich trägt.

“Eine allgemeine Hoffnung” klingt auch ein bißl mau. Sagen wir “die reine Hoffnung”, es geht ja ohnedies nicht, da haben wir ein bißchen Gestaltungsfreiheit. “Die reine Hoffnung” klingt einfach schöner. Also: Es wäre schön, könnte man die reine Substanz der Hoffnung, wenn man in einer Situation ist, in der Hoffnung geboten ist, in einem kleinen Behältnis, wie zum Beispiel einem eleganten Flachmann immer unterm Herzen tragen – in einer Latzhose. Also, Sie machen es einem aber auch nicht leicht! …


Ich hoffe, daß das jetzt eine Zeit wird, die was hat. Es muß ja nicht weißgottwas sein, aber irgendwas sollte sie schon haben. So etwas, daß wenn man in zehn oder zwanzig Jahren zurückdenkt, daß man so sagt: “Oh, ja. Das war schon gut.” Mehr muß gar nicht sein. Aber sowas sollte das jetzt werden. Nicht nur für mich, sondern überhaupt. Es sollte eine Zeit werden, für die man sich nicht genieren muß, weder mittendrin noch nachher. Eine Zeit, in die man jemanden einladen könnte und sagen: “Schau, so leb ich! So haben wir´s! Da sind die Grundsätze, da sind die Möglichkeiten, die sind ein bisserl unübersichtlich, das ist aber in Ordnung, besser zumindest, als es wäre anders, dort ist die Mode, bitte, die ist halt ein Zeitphänomen, das ist immer so. Das ist die Musik. – Ja, richtig, die paßt zur Mode, das gehört auch so. Das sind die Filme, die wir uns ansehen. – Naja, das Übliche; eine scheinbare Ordnung wird zerstört, eine andere Ordnung wird hergestellt. Aber es werden dabei weniger Menschen erschossen, weiß ich nicht, wie das passiert ist, vielleicht haben die damals die Statisten wirklich alle erschossen, und jetzt finden sie keine mehr, jedenfalls werden in den Filmen jetzt weniger Menschen erschossen, und die Geschichten, find ich, sind gut. Dort drüben sind unsere Ängste, klar jede Zeit hat ihre Ängste, unsere sind dort, mehr sind das nicht, die sind allerdings berechtigt, und wir wissen, wo sie sind. Wahrscheinlich haben wir auch unsere Irrtümer, klar jede Zeit hat ihre Irrtümer, aber wo die liegen, weiß man immer erst nachher.

Irgendwo sind die sicher, hoffentlich nicht unter den Grundsätzen, weil mit denen sind wir sehr froh. Wie wir miteinander umgehen ist ganz einfach; wer andere gelten läßt, wird respektiert, wer hetzt, fliegt raus, aber es halten sich eigentlich alle daran. Hoffnungen haben wir auch, aber die haben bei uns keinen speziellen Platz, die sind praktisch überall.” So eine Zeit sollte das werden! Das wär fein!

Eine Hoffnung, die ich habe, die ist so schön, daß ich Sie ihnen erzählen will. Das ist wie gesagt nur eine Hoffnung, und die wird sich höchstwahrscheinlich nicht erfüllen, aber als Hoffnung find ich sie einfach sehr schön; in jeder Fernsehtalkshow, jeder, der zu Gast ist, sagt zum Talkmaster: “Das geht Sie nichts an! Ich sitze hier nur, damit hier kein anderer sitzt, den Sie vielleicht dazu bringen, daß er sich hier entblößt! Ich sitz das hier locker durch. Wenn Sie wollen, daß hier jemand schreit oder weint, oder sich irgendwie zum Trottel macht, damit Sie mit der Betroffenheitslametta rascheln können, dann müssen Sie das jetzt alles selbst machen, dafür haben Sie eine Stunde lang Zeit. Toi, toi, toi!” Jeder. In jeder Talkshow. Das würde mir einfach sehr gefallen.

Und was wichtig ist, erzählt man den Menschen, die einem wichtig sind. Auch wenn´s vielleicht nicht so wichtig ist. Jedenfalls erzählt man es jemandem, bei dem das, was man erzählt, gut aufgehoben ist. Wo man nachher völlig zurecht sagen kann: “Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!”

Aus “Ich lass mich gehen – Ein Abschied”

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5 Antworten auf Hoffnungen müssen sich ja nicht erfüllen

  1. Erika sagt:

    Sylvia, ich dachte Du hättest das geschrieben bezüglich Deiner E-Mails, als ich die Überschrift las und anfing zu lesen :mrgreen:

  2. Sven sagt:

    Tja,ein paar Tage ohne Internet. Da hat sich scheinbar einiges angestaut. :mrgreen:

  3. Sylvia sagt:

    Ich hatte Internet. Nur mail ist abgestürzt.

    Die Wiederherstellung hat einen gravierenden Fehler: Es sind die Eingänge und Ausgänge alle da, allerdings ohne Inhalt :shock:

  4. Erika sagt:

    oh :shock:
    vielleicht ist der noch unterwegs :shock:
    wie ist es mit neuen Mails?
    kannst Du die lesen,ich schick Dir mal eine :cool:

  5. Sylvia sagt:

    Ja, ist alles angekommen.

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